Ein Outfit für 360 km/h

Drei der vier Red Bull KTM MotoGP™-Piloten vertrauen auf Alpinestars-Anzüge und die Tech-Air-Airbag-Technologie, wenn sie auf der KTM RC16 Vollgas geben. Aber wie unterschiedlich und wie individuell sind diese offiziellen „Klamotten“ eigentlich?

Von Adam Wheeler

Wir wissen alle: Die Rennanzüge der Fahrer müssen einiges aushalten – vor allem Reibung. PC: Rob Gray

Aus nächster Nähe betrachtet sind MotoGP-Race-Suits komplexe und faszinierende Kleidungsstücke. Sie bestehen aus einem Patchwork verschiedener Stoffe und Känguruleder-Panels. Sie enthalten diverse Materialien, die vor dem Schleifen und Brennen auf Asphalt und Kies bei irrsinnigen Geschwindigkeiten schützen. Sie sind mit Beulen und Vorsprüngen versehen, die Hightech verbergen – wie Airbags, die einen Sturz erkennen und in nur 0,4 Sekunden auslösen. Fahrer, die am Sonntag auf dem Podium stehen, tragen diese Anzüge für fast vier Stunden. Trotz Kevlar, PVC und anderen Panzer-Elementen sind die Suits tragbar – fast bequem. Spezielle Arbeitskleidung eben.

Pedro Acosta, Enea Bastianini und Maverick Viñales setzen auf die Erfahrung und Expertise von Alpinestars, um ihre Haut mit einer zweiten „Haut“ zu schützen. Als frühere Weltmeister und Grand-Prix-Sieger fahren sie auf höchstem Niveau – ihre Anzüge sind natürlich maßgeschneidert (Länge und Dicke von Gliedmaßen, Hüften, Brust und Rücken), aber sie sind auch erstaunlich nah am Top-Kundenmodell: dem Racing Absolute V2. Die beiden Spanier und der Italiener sind körperlich recht ähnlich gebaut, aber wir haben mit Chris Hillard (Alpinestars Media Manager) und William Mitham (MotoGP Athlete Manager) gesprochen, um herauszufinden, wie und warum die Suits noch individueller werden.

Das Team braucht einen Lederanzug, der sitzt wie eine zweite Haut. PC: S. Fleischer

„Ein MotoGP-Anzug ist eine maßgeschneiderte Version des Racing Absolute V2. Selbst unser Standardprodukt für die Öffentlichkeit besteht aus rund 80 Teilen Känguruleder“, erklärt Hillard. „Und dazu kommen noch etwa 75 Komponenten, die alles zusammenbringen: Protektoren, Nähte, Kevlar.“

Acosta, Bastianini und Viñales tragen alle dieselbe Lederdicke. „Wir haben eine Mindesttoleranz“, sagt Mitham. Alle drei nutzen auch denselben Unteranzug, der bei Temperaturregulierung, Schweiß und Isolierung hilft – aber dann wird’s individuell. „Maverick legt großen Wert auf Sicherheit, für ihn ist es extrem wichtig, die neuesten Produkte und Technologien zu tragen“, verrät Hillard. „Die anderen beiden wollen auch den besten Schutz, sind aber etwas entspannter. Maverick hat zum Beispiel auf Dreifach-Stiche an den Nähten gedrängt. Er war der Erste, der das entwickelt hat – jetzt nutzen es alle. Man sieht es an den Beinen, und es macht den Anzug bei einem Sturz noch robuster, wenn das Leder stark beansprucht wird.“

„Alle Fahrer, mit denen wir arbeiten, haben zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Prioritäten“, sagt Chris weiter. „Manchmal braucht es einen Crash und eine Verletzung, damit ein Fahrer mehr über Schutz nachdenkt. Manchmal geht’s mehr um Performance und darum, Gewicht zu sparen. Unser Programm im Fahrerlager kann auf die Bedürfnisse jedes Fahrers eingehen. Es ist großartig, wenn jemand wie Maverick offen für neue Sicherheitsideen ist. Das macht ihn zu einem guten Tester. Manche Fahrer lassen lieber andere testen und übernehmen neue Features erst später.“

Viñales hatte einige sehr spezifische Wünsche – und jetzt folgen ihm alle anderen Fahrer. PC: Rob Gray

Ein auffälliger Unterschied ist der Höcker am Rücken. „Jeder Fahrer nutzt eine andere Form, angepasst an seinen Helm und Spoiler“, sagt Mitham. „Maverick und Pedro haben denselben, weil er auf Pedros Alpinestars Supertech R10 Helm abgestimmt ist – und Mavericks Arai ist ziemlich ähnlich. Der Höcker ist für den SR10 optimiert, passt aber auch zu anderen Helmen. Eneas Höcker ist kantiger, passend zu seiner Helm-Marke.“

Der Höcker ist Teil des persönlichen aerodynamischen Profils des Fahrers. Die Luftstromoptimierung sorgt dafür, dass die Anzüge heute enger sitzen als je zuvor – was ihre Flexibilität umso wichtiger macht. „Der Höcker ist das sichtbarste Beispiel und ein Vorteil der Windkanaltests mit Red Bull KTM“, sagt Hillard. „Aber ehrlich gesagt gibt es überall am Anzug kleine Lösungen zur Drag-Reduktion.“

„Wir wollen, dass der Anzug so flach wie möglich am Fahrer anliegt“, betont Mitham. „Wir wollen Falten vermeiden, deshalb arbeiten wir gerade an einem geheimen Material unter dem Leder, das sich fast an den Fahrer saugt und eine feste Form erzeugt.“

Dank der unglaublichen Haftung moderner MotoGP-Reifen sind Ellbogenschleifer heute genauso wichtig wie die für die Knie. Zumindest für manche Fahrer. „Der Standardanzug hat einen Ellbogenschutz und Schleifer, aber Pedro und Enea bekommen extra Material, weil sie viele Stürze mit dem Arm abfangen und der Anzug dabei stark beansprucht wird“, sagt Hillard.

„Der Ellbogenbereich muss trotzdem flexibel bleiben, weil sie sich beim Abfangen des Bikes strecken“, erklärt Mitham. „Pedro hat hier das Maximum, Maverick das Minimum! Enea liegt irgendwo dazwischen… aber wir haben viele Konfigurationen. Drei verschiedene austauschbare Ellbogenmischungen und zusätzliche Teile für die Bereiche, die beim Schleifen beansprucht werden.“

Beim Saisonauftakt 2025 in Thailand herrschten fast 40 Grad – eines der heißesten Rennen überhaupt. Alpinestars reagierte schnell mit individuellen Anpassungen. „Wir haben hitzeabweisendes Material in bestimmten Bereichen“, sagt Mitham. „In Thailand hatten die Red Bull KTM Tech3-Fahrer Probleme mit der Hitze vom Bike, also haben wir Material verwendet, das sonst in den Stiefeln steckt – besonders rund um den Auspuff. Maverick wollte es nicht innen, weil es am Unteranzug scheuerte, also haben wir es außen angebracht. Enea hatte dieses Problem nicht.“

„Das ist Teil unseres Racing-Service vor Ort“, betont Hillard. „Wir bekommen diese Herausforderungen direkt von den Teams und können schnell Lösungen finden. In Thailand haben wir das nach dem Sprint am Samstag umgesetzt – und die Jungs hatten es schon für das Hauptrennen am Sonntag.“

Acosta, Bastianini und Viñales haben ihre persönlichen Logos (alle drei zeigen Grafiken zur Ehrung anderer Fahrer rund um den Höcker) und können auch beim Airbag wählen, der Rücken, Brust, Schultern und Hüften schützt. „Wir bieten zwei Kartuschen an, aber der Fahrer entscheidet, ob er eine oder zwei will – es geht wieder ums Gewicht“, sagt Hillard. „Wir würden zwei empfehlen… aber wir verstehen, dass sie lieber weniger Gewicht tragen und nur für einen Crash geschützt sein wollen.“

Jeder Fahrer hat unterschiedliche Bedürfnisse – am Ende muss der Anzug individuell zu jedem einzelnen passen. PC: Rob Gray

Und zuletzt: Alpinestars geht auch auf die Eigenheiten und (manchmal seltsamen) Gewohnheiten der Fahrer ein. „Maverick hat kein Problem damit, seine Ausrüstung zu wechseln, aber Enea will das Wochenende mit demselben Anzug starten und beenden“, schmunzelt Mitham. „Pedro ist ziemlich abergläubisch und will immer denselben Anzug tragen – und er steckt etwas Besonderes in den Höcker: eine Knoblauchzehe!“ Knoblauch für „The Shark“? Pedro wird jedenfalls keine Vampire zu befürchten haben.

 

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