KTM besitzt das schnellste Grand-Prix-Motorrad der Welt – aber Erfolg in der MotoGP hängt stark von der optimalen Nutzung der Michelin-Einheitsreifen ab. Einer, der dafür sorgt, dass die KTM RC16 stets auf dem richtigen Gummi steht, ist Craig Burton – bekannt als „Burty“.
Von Adam Wheeler
Wenn man in die KTM-Box kommt, ist der erste Blick oft auf den hochgewachsenen Briten gerichtet – meist halb verdeckt von Reifengestellen, Werkzeugen und Kartons. In engen Boxenanlagen wirkt er wie ein Kaninchen im Bau, immer in Bewegung, mit schwarzen Handschuhen und rußbedecktem Gesicht.
„Es ist ein Job, den viele nicht machen wollen“, lacht der 48-Jährige. „Man ist oft allein, muss viel improvisieren und wird selten gesehen.“ Doch Burty ist seit 2003 im Grand-Prix-Paddock unterwegs und bringt Erfahrung aus vielen Rollen mit: Mechaniker, Chefmechaniker, Getriebespezialist und Ersatzteilmanager.
Seit 2020 ist er für Brad Binders Reifen und Bremsen verantwortlich, zuvor für Pol Espargaró. Trotz seiner zurückhaltenden Art weiß er, wie zentral seine Rolle im Team ist. „Ich entlaste den Crew Chief, dokumentiere die Reifen, kümmere mich ums Vorheizen – alles muss perfekt getaktet sein.“
Präzision, Planung und viel Gummi
An einem Rennwochenende dürfen nur 10 Vorder- und 12 Hinterreifen eingesetzt werden. Jeder Reifen wird dokumentiert und teilweise mehrfach verwendet. Das Timing beim Vorheizen ist entscheidend – zu lang, und der Reifen verliert an Leistung.
„Heute ist alles viel digitaler. Ich schaue mir Reifendruck, Temperaturen und Daten an und gebe dem Team einen Überblick. Manchmal muss ich Entscheidungen treffen, wenn im Training keine Zeit bleibt.“ Zusätzlich managt Burty auch das Bremssystem: sechs Bremsscheiben-Sets, fünf bis sechs Bremssättel, dazu Felgen für verschiedene Einsatztage – alte für Freitag, mittlere für Samstag, die besten für Sprint und Rennen.
Flexibilität unter Druck
„Es hat acht bis zehn Monate gedauert, bis ich den Job wirklich beherrscht habe“, sagt Burton. Gerade bei wechselhaftem Wetter steigt der Stresspegel. „Man bereitet Regenreifen vor, nutzt sie dann doch nicht. Bei Regen-Trocken-Mischbedingungen wird’s hektisch.“
Auch Bremsen müssen individuell angepasst werden – Binder etwa erzeugt mehr Temperatur als Rookie Pedro Acosta. Zudem muss das Material nach weltweitem Transport immer wieder neu geprüft werden. „Man braucht ein System, sonst ist man verloren.“
Hohe Belastung, körperlich und mental
Burty legt an einem Wochenende bis zu 23.000 Schritte zurück, schleppt Räder, meistert das Chaos in der Boxengasse. „Ich wirke vielleicht einschüchternd, bin aber recht umgänglich“, sagt er mit einem Grinsen. Die ständige Reiserei fordert ihren Tribut, aber: „Sobald man an der Strecke ist, lebt man in einer anderen Welt – mit einer zweiten Familie im Team.“
Kommt es zu einem Sturz, prüft er Felgen und Bremsen auf Schäden: „Wenn ich mir unsicher bin, kommt das Teil in Quarantäne.“ Drei Bremssätze werden freitags eingesetzt, um für Samstag vorbereitet zu sein.
Kühlen Kopf bewahren
Einmal stürzte sein Computer kurz vor dem Qualifying ab – Burty musste per Hand weitermachen. „Nicht in Panik geraten – Problem analysieren, Prioritäten setzen.“ Und obwohl es in den letzten Rennminuten hektisch wird, kennt er seine Aufgabe genau: Reifen montieren, aufwärmen, mit Bremsscheiben rechtzeitig ans Grid bringen.
Nie wirklich still
Während andere das Rennen verfolgen, ist Burty schon mit dem nächsten Schritt beschäftigt – Felgen reinigen, Bremsen vermessen, für das nächste Rennen planen. „Ich bin ein Dreckmagnet“, lacht er. „Besonders die Vorderräder werden vom Bremsstaub richtig schwarz – und das überträgt sich auf mich.“
Burton ist nicht nur Reifen- und Bremsenmann – er ist ein unverzichtbares Glied in der Kette, die ein MotoGP-Bike konkurrenzfähig macht. Leise, effizient, immer da, wenn es zählt.